Das Bochumer Institut für Deutschlandforschung/RUB stellte Anfang Februar im Rahmen eines zweitägigen überregionalen und interdisziplinären Fachgesprächs mit dem Titel „Jenseits der Jahrestage?“ die naheliegende Frage, warum sich die historische Erinnerungskultur überwiegend an der Wiederkehr von „runden“ oder festgelegten speziellen Tagen und Jahren entzündet. Ist dies eine überkommene Form der Erinnerungskultur, die vor allem in nicht- demokratischen Gesellschaften gepflegt wird, oder brauchen wir auch in einer offenen zunehmend pluralistischen Welt diese festen kalendarisch und epochal verankerten Erinnerungsrituale?
Die Frage führte zu einer lebhaften Diskussion mit besonderer Reflexion auf das vergangene Lutherjahr 2017 und auf die Bemühungen um eine gemeinsame europäische Erinnerungskultur. Dass Erinnerungskultur nicht nur einen Zeit- sondern auch einen Raumbezug braucht, kam insbesondere in der Diskussion um das Jahr 2018, als Jahr des (endgültigen) Abschieds vom Deutschen Steinkohlenbergbau zur Sprache. Grundlage für die Debatte war das umfangreiche Jahresprogramm „Glückauf Zukunft“http://www.glueckauf-zukunft.de/kalender, in dem fast ausschließlich im Ruhrgebiet an die Bedeutung der Steinkohle und der Kumpel erinnert wird.
Das Impulsreferat dazu trug den Titel „ Das Extra-Jahr 2018. 365 Tage Erinnerung mit Zukunft“ (Dr. Ulrike Laufer, Kommentar Prof. Dr. Petzina).
Abschied im Bergbau: Wenn eine Zeche schließt, ist dies immer ein bewegender Moment. Meistens findet die letzte Schicht zudem kurz vor den Weihnachtstagen statt – so auch auf Zeche Zollverein, dem bis 1986 noch als letztem fördernden Bergwerk der ehemaligen Kohlenmetropole Essen. So wie am 23. 12. 1986 diese letzte Schicht auf Zollverein begangen wurde, so hatte man es vorher schon auf vielen anderen Zechen gemacht und so machte man es in der Folge noch auf vielen, vielen anderen. Die verbliebenen Bergleute wurden zu einer letzten Belegschaftsversammlung in der größten zur Verfügung stehenden Halle zusammengerufen. Hier versammelten sich auch die eingeladenen Ehefrauen und Ehrengäste. Die Männer der „letzten Schicht“ verließen unter Applaus von Kollegen, Vertretern von Direktion und Gewerkschaft sowie der Pressemitglieder den Fahrkorb, der sie aus der Tiefe nach oben befördert hatte. Sie begaben sich ebenfalls in die Halle, der Abschied konnte beginnen. Unter die Redner der Versammlung mischten sich auch Pfarrer und Politiker. Knappschaft und Chöre umrahmten die Abschiedsfeier.
Besonders festlich ging es im Juni 2012 mit dem Ende des Steinkohlenbergbaus an der Saar und im Dezember 2015 zu, als die Zeche Auguste Victoria in Marl geschlossen wurde. Auguste Victoria in Marl war eines der leistungsfähigsten Bergwerke überhaupt gewesen. Geschlossen wurde sie als vorletzte im Ruhrgebiet fördernde Zeche. Um die Stilllegung in großem Rahmen und Würde zu begehen, ließ man ein riesiges Zelt aufbauen, das die große Zahl der Belegschaft, ihrer Angehörigen und der Ehrengäste aufnehmen konnte. Der Ruhrkohlenchor gab sein Bestes. Der Chef der Bergbau-Gewerkschaft Michael Vassiliadis war da, ebenso der Vorstandsvorsitzende der RAG-Stiftung Dr. Werner Müller. Ministerpräsidentin Krafft versuchte, tröstende, ausgleichende Worte zu finden, nachdem sie zuvor einen letzten geförderten Kohlenbrocken aus der Hand eines Kumpels entgegengenommen und feierlich auf einen bereitstehenden „letzten“ Förderwagen gelegt hatte – eine ebenso symbolisch wie anachronistisch anmutende Handlung, aber im Rahmen von Ruhrkohlenchor und Steigerlied passend. Der Bergbau ist nun einmal traditionsbewusst.
Die letzten Bergleute, die zurzeit noch auf Prosper Haniel in Bottrop und in Ibbenbüren arbeiten, haben viel mitgemacht. Immer wieder hat man sie auf andere Bergwerke verlegt, nachdem „ihr Pütt“ geschlossen wurde. Selbst etliche saarländische Bergleute nehmen wöchentlich lange Pendelzeiten ins Ruhrgebiet und sogar ins noch nördlicher gelegene Ibbenbüren in Kauf, um weiter Bergmann sein zu können. Dies sind die Überzeugten, Unbeirrbaren, die 2007 dem Bergbau treublieben, als das Ende des deutschen Steinkohlenbergbaus für das Jahr 2018 beschlossen wurde.
Auf diese Weise bildete sich erst recht eine eingeschworene Gemeinschaft heraus, für die Bergmannsein nicht Beruf sondern Berufung ist – bestärkt durch das Bewusstsein, damit die Tradition und die Werte eines ganz besonderen Berufsstandes aufrecht zu halten. Zumal viele dieser Bergleute aus regelrechten Bergbaudynastien kommen, in denen auch die letzte Generation trotz des drohenden Endes des Steinkohlenbergbaus aus voller Überzeugung diesen Beruf wählte. Bei jeder Zechenschließung wurde diesen Bergleuten bestätigt, sie seien zugleich Elite und Opfer von Energiepolitik und Globalisierung.
Seit dem Beschluss zur Beendigung des Steinkohlenbergbaus in Deutschland geht es immer weniger um die Kohle, die ohnehin nur subventioniert am Markt angeboten werden kann. Es geht seitdem um die Menschen im Bergbau. Schon 2016 begann man darüber nachzudenken, wie für diesen verbliebenen harten Kern von rund 5000 Bergleuten der Abschied würdevoll und angemessen gestaltet werden kann.
Doch es geht auch darum, dass ein ganzer Berufszweig, ein einstmals für die deutsche Wirtschaft und den Wohlstand der Nation maßgeblicher Berufsstand nicht mehr existieren wird.
Schon seit einiger Zeit konzentriert sich das Erinnern an den deutschen Steinkohlenbergbau auf das Ruhrgebiet. Schon jetzt, sechs Jahre nach Beendigung des Steinkohlenbergbaus an der Saar, würde man bei einer großen Zahl der Deutschen Erstaunen hervorrufen, mit der Mitteilung, dass Steinkohlenbergbau auch außerhalb des Ruhrgebiets stattgefunden hat, bzw. stattfindet. Spätestens seit dem Europäischen Kulturhauptstadtjahr „Essen für das Ruhrgebiet“ 2010 ist zudem der Kampf dieser Region um Strukturwandel und Aufbruch in eine neue wirtschaftliche Zukunft ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Das Abschiedsjahr vom Steinkohlenbergbau knüpft mit seinem Titel „Glückauf Zukunft“ bewusst an diese beiden regionalen Identitätsmerkmale an.
Der Zusammenhang von Erinnerung und Zukunft zählt auf europäischer Ebene zum offiziellen Konsens. Die europäische Rahmenkonvention von Faro 2005 diskutierte und bestätigte den Wert des Kulturerbes für unsere Gesellschaft (https://rm.coe.int/16800d3814). Die hier verabschiedete Konvention fordert explizit dazu auf, das Potential des Kulturerbes für die Zukunft zu nutzen. Ziel jeder Pflege von Kulturerbe muss ein Plus an Demokratie, Teilhabe und Lebensqualität sein. Das Programm zum Abschied vom Steinkohlenbergbau unter dem Motto „Glückauf Zukunft“ verspricht, diese Forderungen zu erfüllen. Die in den Gruß- und Vorworten des gleichnamigen Jahresprogramms enthaltenen Verheißungen, dass den Bergbauregionen die besten Zeiten überhaupt erst noch bevorstehen, entsprechen somit den Vorstellungen und Forderungen der im europäischen Kulturdiskurs immer wieder zitierten Konvention von Faro.
Ohne Zweifel ist der deutsche Steinkohlenbergbau Teil des Europäischen Kulturerbes – darauf wird die Ausstellung im Kohlenbunker der Kokerei Zollverein „Das Zeitalter der Kohle. Eine Europäische Geschichte“ von Ende April bis Anfang November 2018 noch einmal aufmerksam machen. Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt des RuhrMuseums und des Deutschen Bergbau-Museums Bochum.
Die Geschichte des deutschen Steinkohlenbergbaus kann ohne Hinweise auf europäische und internationale Gemeinsamkeiten nicht funktionieren. Unter den 66 eingetragenen Programmpunkten im Veranstaltungsheft von „Glückauf Zukunft“ finden sich immerhin 19, die – hauptsächlich vor dem Hintergrund von Kunst und Wissenschaft -, internationale Bezüge deutlich machen.
Die Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle. Eine Europäische Geschichte“ wird von der RAG-Stiftung gefördert. Die Stiftung fördert noch eine große Zahl weiterer Programmpunkte dieses Erinnerungsjahres und sie hat die Rolle der Intendantin für das Programm „Glückauf Zukunft“ übernommen. Ihr zur Seite stehen zwei Unternehmen: die RAG AG und Evonik Industries sowie die Gewerkschaft IGBCE. Diese vier können als rechtmäßige Erben des Deutschen Steinkohlenbergbaus gelten. Nach der Konvention von Faro sind sie damit in der Pflicht, auch die Verantwortung für dieses Erbe zu übernehmen.
Die genannten Akteure, allen voran die RAG-Stiftung, stellen sich dieser Verantwortung. In dem von der RAG-Stiftung herausgegebenen Programm sind eine Vielzahl von Programmpunkten unabhängiger anderer Akteure aufgeführt, sofern diese rechtzeitig vor Redaktionsschluss gemeldet wurden. Damit sind auch die in Faro erhobenen Forderungen nach Partizipation, Teilhabe und Vermittlung erfüllt.
Eigentlich wäre das Jahr 2018 für die RAG AG das Jahr ihres 50jährigen Firmenjubiläums gewesen. Am Ende dieses überwiegend mit Protest, Revolte und Aufbruch konnotierten Jahres 1968, konkret am 27. 11. 1968, saßen ernst schauende Herren, darunter Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller, in zeremoniellem Akt beieinander, um mit Ihrer Unterschrift die Ruhrkohle AG zu gründen. Diese war die Vorläuferin der RAG AG und damit auch die Urmutter der 2007 ins Leben gerufenen RAG-Stiftung. Nun passen aber Abschied und Jubiläum schlecht zueinander. Ein 50jähriges Firmenjubiläum der Ruhrkohle oder RAG AG findet nicht statt. Vor 10 Jahren war das noch anders: zum 40jährigen Bestehen des Unternehmens hat man sich zumindest einen historischen Rückblick in einer Extraausgabe der Werkszeitung gegönnt.
2018 ist auch ein Erinnerungsjahr für andere historische Themen und Ereignisse. Man gedenkt der wilden 1968er Bewegung, weniger des Endes des Ersten Weltkriegs oder der Ermordung der Romanows, der Zarenfamilie. Und 200 Jahr zuvor kam Karl Marx zur Welt. Vor 400 Jahren begann der Dreißigjährige Krieg. Mit ein bisschen historischer Grabungstechnik würde uns noch mehr ein- und auffallen. Für die letzten Reviere, für das Ruhrgebiet und Ibbenbüren, ist 2018 anders konnotiert. 2018 steht im Zeichen des Abschieds vom deutschen Steinkohlenbergbau. Zusammen mit der RAG-Stiftung und ihren oben genannten Partner werden wir als Bevölkerung, also als geographisch zu lokalisierende Kulturerbegemeinschaft im Sinne der Konvention von Faro, aufgefordert, in erster Linie Erinnerungskultur an den Steinkohlenbergbau zu pflegen und über „Glückauf Zukunft“ nachzudenken.
Nicht eingeladen sind wir allerdings zu den eigentlichen zentralen Abschiedsveranstaltungen am Ende dieses Jahres.
Die feierliche letzte Schicht am 21. Dezember 2018 auf Schacht Franz Haniel in Bottrop richtet sich außer an die Bergleute der letzten Schicht an „500 Vertreter aus Unternehmen, Politik, Gewerkschaft, Öffentlichkeit und Wirtschaft“, so das Programm „Glückauf Zukunft“, S. 72. Zuvor am 3. November 2018 wird an fünf verschiedenen Erinnerungsorten der Steinkohle, nämlich in Essen, Bottrop, Hamm, Dinslaken und Ibbenbüren ein Abschied des deutschen Steinkohlenbergbaus für die „regionale Bevölkerung“ stattfinden. Allerdings finden wir im Programm (S. 68) hinter „regionale Bevölkerung“ den Klammerzusatz „ehemalige und aktive MitarbeiterInnen und Mitarbeiter“. Wer trotzdem auch als Nicht-MitarbeiterIn dabei sein möchte, kann sich jetzt noch einem der zahlreichen regionalen Chöre anschließen, die zur Untermalung dieser denkwürdigen Feierlichkeiten des Danks der Kumpel an die Kumpel auftreten werden.
Die Kumpel, denen wir wirklich viel zu verdanken haben, nämlich diejenigen, die das deutsche Wirtschaftswunder ermöglichten, sind zum großen Teil heute nicht mehr unter uns. Auch denjenigen, die durch Katastrophen oder Unglücke im Bergbau ums Leben gekommen sind, wird leider kein eigener Programmpunkt gewidmet. Zu erinnern sind zum Beispiel die drei furchtbaren Schlagwetterexplosionen 1943, 1950 und 1955 auf Zeche Dahlbusch, Gelsenkirchen. Nicht vergessen werden darf auch die Grubenexplosion auf der Zwickauer Zeche Karl Marx am 22. Februar 1960 mit 123 Toten sowie die letzte schwere Katastrophe untertage im Ruhrgebiet am 15. April 1992 auf Schacht 3-4 in Bergkamen, mit 7 Toten nach Schlagwetterexplosion.
Trauerfeiern auf Friedhöfen oder an Gedenkstätten passen offensichtlich nicht in das Erinnerungsjahr „Glückauf Zukunft“. Außerhalb des Programms und dann doch hoffentlich in den Reden zum 3. November 2018, wenn es um „Danke Kumpel“ geht, wird man auch der Opfer dieses einst äußerst gefahrvollen Untertagebergbaus gedenken. (Traditionell ehren die Bergleute ihre verunglückten Kumpel am 4. Dezember, dem Tag der Hl. Barbara, der Schutzheiligen der Bergleute, aber dieser findet sich im Programm „Glückauf Zukunft“ ebenfalls nicht wieder.)
Zwischen den Veranstaltungen „Danke Kumpel“ Anfang November und der „Letzten Schicht“ Ende Dezember liegt noch ein weiterer Programmpunkt, der sich wieder etwas mehr an die breite Öffentlichkeit richtet. Anfang Dezember wird das Deutsche Bergbau-Museum Bochum den ersten Teil seiner neuen Dauerausstellung mit einem Rundgang zur Geschichte der Deutschen Steinkohle sowie einem Rundgang zur Geschichte des Bergbaus von der Steinzeit bis heute wiedereröffnen. Eine neue Dauerausstellung für das Bergbau-Museum war längst überfällig. Beide Rundgänge wie auch die Sanierung des Hauses hätten ohne finanzielle Hilfe der RAG-Stiftung nicht realisiert werden können. Von daher ist es verständlich, dass die Wiedereröffnung noch im Rahmen des Abschiedsjahres 2018 stattfinden soll. Vollkommen unverständlich ist, dass die neuen Rundgänge nur in Form von Sonderaktionen an den Wochenenden geöffnet werden, solange bis im Sommer 2019 dann auch mit der Fertigstellung des zweiten Teils der neuen Dauerausstellung die Sanierung des Bergbau-Museums abgeschlossen sein wird. Vielleicht findet man dazu noch eine bessere Lösung.
Museen haben in der Erinnerungskultur einen entscheidenden Stellenwert.
Doch auf nationaler Ebene schweigen die Museen. Wäre der Abschied vom Deutschen Steinkohlenbergbau nicht zumindest der Würdigung durch zwei, drei eindeutig in Frage kommende große deutsche Museen Wert gewesen? Das Deutsche Museum in München, gegründet zu Anfang des 20. Jahrhunderts um Meisterwerke der deutschen Technik und Leistungen der deutschen Industrie zu dokumentieren, hat vor kurzem erst eine Ausstellung über den deutschen Steinkohlenbergbau abgebaut. Man ist gerade dabei, sich selbst neu zu erfinden, neue Dauerausstellungen zu konzeptionieren und hat für sentimentale Regungen in längst abgeschriebenen Revieren offensichtlich keine Zeit.
Dass das Deutsche Historische Museum in Berlin diesem für uns im Revier denkwürdigen Einschnitt in der deutschen Geschichte gegenüber gleichgültig bleibt, ist vermutlich auch ein bisschen meine Schuld. Mit der Ausstellung „Gründerzeit. Industrie und Lebensträume 1848-1871“ brachte ich 2008 das erste Stück Kohle in die umfangreiche Sammlung des Museums ein. Der eigenhändig von mir nach Berlin geschleppte Kohlebrocken stammte noch aus der Förderung der Zeche Zollverein. Er wurde zusammen mit je einem Eimer Kokskohle und Koks ehrfürchtig und staunend von den Museumsmitarbeitern begrüßt und von den Ausstellungsbesuchern interessiert mit Jugenderinnerungen verbunden, verschwand dann allerdings mit dem Ende der Ausstellung wohl in einem der riesigen Museumsdepots. Die Darstellung der deutschen Schwerindustrie scheint mit „Gründerzeit“ für das Deutsche Historische Museum erledigt.
Da in Berlin ein ähnlicher Hang zur Nabelschau und Verkapselung herrscht wie im Ruhrpott, muss man ohnehin eine erhebliche Portion Hartnäckigkeit und Missionierungsdrang aufbringen, um mit vermeintlich regionalen Themen den Dunstkreis der Bundeshauptstadt zu durchdringen. Auf diese Idee ist im Vorfeld zum Erinnerungsjahr 2018 leider niemand gekommen. Die Ausstellung „Josef Stoffels. Steinkohlenzechen – Fotografien aus dem Ruhrgebiet“, die das RuhrMuseum aktuell zeigt, wäre beispielsweise als Botschafter des Steinkohlenbergbaus oder auch des Ruhrgebiets für Berlin gut geeignet gewesen. Ebenso übrigens wie die ausgezeichnete und (noch) laufende Ausstellung „Umbrüche“ des Museums unter Tage Situation Kunst in Bochum mit Fotografien von Rudolf Holtappel, Bernd und Hilla Becher, und anderer.
Mein Wunsch an ein zukünftiges besseres Revier wäre ein solches Engagement – Selbstdarstellung über die Region hinaus – und dies nicht immer nur dem Klartext-Verlag zu überlassen. Nicht warten, bis die Touristen kommen, sondern öfter mal die Fahne dort heben, wo sich bundesrepublikanische Öffentlichkeit im großen Stil abspielt.
Nicht mal in Bonn, immerhin ehemals Sitz eines veritablen Oberbergamts, nicht mal im Haus der Geschichte der Bundesrepublik wird man in diesem Jahr des Steinkohlenbergbaus gedenken. Das Jahr 1968 steht hier nicht für die Gründung der Ruhrkohle AG, der großen Auffanggesellschaft für die damals bereits als unrentabel geltenden deutschen Kohlenzechen. 1968 steht im Museum für die Geschichte der Bundesrepublik im Zeichen der Revolte, der 68er Bewegung. Die Verdienste der Kumpel für das deutsche Wirtschaftswunder sind kein Thema.
Mit seinem Abschieds- und Erinnerungsjahr steht das Ruhrgebiet, bzw. der deutsche Steinkohlenbergbau weitgehend allein – und bleibt damit eine Insel in der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur.
Die Kumpel sind es gewohnt, auf sich selbst angewiesen zu sein. So halten es nun auch RAG und RAG-Stiftung.
Die einst auf Kohle gegründeten großen Konzerne und Unternehmen des Ruhrgebiets von der RWE über ThyssenKrupp bis hin zu Haniel oder E.ON haben sich längst vom deutschen Steinkohlenbergbau verabschiedet und beteiligen sich nicht am Erinnerungsjahr 2018. Einige von Ihnen geben Leihgaben in die große Kohle-Ausstellung des RuhrMuseums oder die neue Dauerausstellung des Bergbau-Museums. Das ist alles. Von „Danke Kumpel“ keine Spur. Auch der Deutschen Bahn hätte es übrigens gut angestanden, des Steinkohlenbergbaus zu gedenken. Die wunderbaren Dampflokomotiven, die man im DB Museum in Nürnberg mit Stolz zeigt, hätten sich ohne die Kohle der Kumpel aus den großen Revieren in Oberschlesien (ja, auch hier gab es mal deutsche Bergwerke), dem Saarland und an der Ruhr, aber auch aus den kleineren Revieren in Ibbenbüren, Sachsen oder Bayern, keinen Zentimeter von der Stelle bewegt.
Im allgemeinen bundesrepublikanischen Bewusstsein scheint die Kohle abgeschrieben oder zu einem folkloristischen Element pittoresker Wochenendausflüge ins Ruhrgebiet geworden zu sein.
1997 auf dem Höhepunkt der Steinkohlesubventionen mit annährend sechs Milliarden Euro begann die endgültige Talfahrt des Steinkohlenbergbaus in Deutschland. 2007 erfolgte der Beschluss zum Ende im Jahr 2018. In diesem Jahr so konnte man 2007 anhand der Belegschaftsstruktur (noch etwa 30.000 Mitarbeiter waren zu versorgen) errechnen, würden ausreichend viele Bergleute das Vorruhestandsalter erreicht haben, so dass ein verbliebener Rest entweder für technische oder verwaltende Aufgaben verbleiben könnte oder aber in vertretbarer Weise anderweitig vermittelt, bzw. versorgt werden könnte.
So blieb ausreichend Zeit, sich auf 2018 einzustellen.
Werden wir nun unter dem Motto „Glückauf Ruhrgebiet“ eine Revue Sentimentale erleben oder lernen wir im Jahr des Abschieds von der Kohle ein neues, zukunftsfähiges Ruhrgebiet kennen?
Das Programm bietet beides: Auf der einen Seite alte Klischees, wie das von der engen Verflechtung von Fußball, Bergbau, Ruhrgebiet und auf der anderen Seite ein kritisches Hinterfragen von Traditionen, z. B. mit der Ausstellung „Ruhrgebietsfolklore“ auf der Zeche Hannover in Bochum. Dazu kommen wegweisende Diskussions- und Vortragsveranstaltungen sowie auch Wissenschaftsforen wie die begleitenden Vortragsveranstaltungen zur schon erwähnten Fotoausstellung im Museum unter Tage in Bochum, die Ausstellung „Energiewenden“ des LVR in Oberhausen oder die Tagung „Vergangenheit Kohle und Stahl – Zukunft Wissen und Bildung?“ des Hauses der Geschichte des Ruhrgebiets im kommenden September.
Wie werden wir zukünftig mit diesem Erbfall „Steinkohlenbergbau“ umgehen?
Es ist äußerst ungewöhnlich, dass ein Jahr des Abschieds zum Erinnerungsjahr wird. Im Allgemeinen gedenkt man eher Gründungsjahren oder besonderen Ereignistagen.
Doch das Ruhrgebiet ist nun einmal äußerst ungewöhnlich. Es ist immer noch Phantom und Realität zugleich. Über sein wahres Alter gibt es unterschiedliche Meinungen. Die Angaben schwanken zwischen 300 Millionen Jahre oder auch nur 250, 200 oder 150 Jahre, wobei die Angabe 200 Jahre im Moment mit Reflexion auf den industriellen Steinkohlenbergbau deutlich überwiegt.
Wenn es also ohnehin kein eindeutiges Gründungsjahr für das Ruhrgebiet gibt, könnte dann nicht in Zukunft 2018 als Gedenkjahr auf ein ehemaliges und zugleich Geburtsjahr eines neuen Ruhrgebiets dienen?
Zum Beispiel mit einem Erinnern alle zehn Jahre an das Abschiedsjahr des Deutschen Steinkohlenbergbaus? Dies könnte allerdings leicht zu einer Messlatte für das gleichzeitige Versprechen „Glückauf Zukunft“ und damit für erheblich bessere Zeiten im Revier werden. Ob das gewollt sein kann, bleibt fraglich.
Wenn Erinnerung aber der Kitt ist, der die Familie (in dem Fall „den Pütt“) zusammenhält, wird man nolens volens entweder einen Traditionsrhythmus aufbauen oder der Erinnerungskultur Steinkohle auf anderem Weg Struktur verleihen müssen. Als Erinnerungstag bietet sich natürlich der 21. Dezember 2018 als letzte Schicht im Revier an. Doch läuft dieses Datum Gefahr, im Vor-Weihnachtstrubel unterzugehen. Man kann alternativ auch den Barbaratag, den Tag der Schutzheiligen der Bergleute am 4. Dezember, zum besonderen Regionalfeiertag des Ruhrgebiets erheben, etwa so wie die katholischen, also die wahren, Bayern am 15. August Maria Himmelfahrt feiern. Man muss dabei noch nicht einmal an die Gottesmutter Maria noch an die Heilige Barbara glauben. Wichtig ist die gesellschaftlich und öffentlich zu begehende Gemeinsamkeit in Form eines Feiertages. Den Rest werden diverse Vereine, Kommunalpolitiker und die Medien erledigen.
Es ist aber fraglich, ob es dem RVR, als politischem Vertreter des Ruhrgebiets, gelingen wird, einen solchen zusätzlichen Revier-Feiertag durchzusetzen. Zumindest wird dies so lange nicht gelingen, so lange nicht die RAG-Stiftung bereit sein wird, den Unternehmen im Revier den Verdienstausfall an diesem zusätzlichen freien Tag zu ersetzen. Damit ist meiner Meinung nach nicht zu rechnen.
Wenn wir keinen Tag haben, brauchen wir dann vielleicht einen zentralen Ort der Erinnerungskultur an die Steinkohle, um Fahnen zu hissen, Blumen und Kränze niederzulegen, Reden zu lauschen und Selfies zu machen?
Wo könnte dieser zentrale Ort sein – wird sich das Weltkulturerbe Zollverein (ehemals Bergwerk und Kokerei Zollverein) als Nukleus durchsetzen? Das ist naheliegend, schließlich haben sich hier gerade erst RAG-Stiftung und RAG in eigens neu errichteten Gebäuden niedergelassen. Hier befindet sich auch das RuhrMuseum. Damit ist dieser Erinnerungsort schon weitgehend mit dem Thema Ruhrgebiet besetzt. Genau genommen steht das auf zahlreichen Prospekten immer wieder gern gezeigte Doppelbockfördergerüst von Zollverein Schacht XII nicht für den Steinkohlenbergbau selbst sondern für die vertikale Struktur der Schwerindustrie an der Ruhr, also den Zusammenhang von Kohle und Stahl. Allenfalls die fortschreitende, erfolgreiche Technisierung des Bergbaus lässt sich am Doppelbockfördergerüst ablesen. Als Symbole für eine Erinnerung an den Kumpel, seine Erfahrungen, seine Mentalität, seine Werte und Rituale sind sowohl das Fördergerüst wie auch der davorliegende, von den Architekten Schupp und Kremmer zu Anfang der 1930er Jahre als möglichst menschenfrei konzipierte Rasenplatz ungeeignet.
Wohin also mit der Erinnerungskultur der Bergleute?
Gelassenheit tut Not. Das Ruhrgebiet hat seit der IBA Emscherpark (1989-1999) einen unglaublichen Geschichts- und Erinnerungsmarathon absolviert. Dabei ist vor allem an die beiden großen Ausstellungen „Feuer und Flamme“ 1989 sowie „Sonne und Mond und Sterne“ 1999 jeweils zum Auftakt und Abschluss der IBA Emscherpark zu erinnern. Schon 2000 folgte das Historama Ruhr zum Jahrtausendwechsel 2000 mit über 150 Veranstaltungen, zahlreichen Ausstellungen, Diskussionsveranstaltungen, Filmserien zu Arbeit und Leben an der Ruhr und vielem anderen. Dann kam das Kulturhauptstadtjahr 2010 „Essen für das Ruhrgebiet“ mit weiteren großartigen Inszenierungen und Geschichtsprojekten. In den Jahren dazwischen und danach gab es immer wieder Konferenzen, Tagungen, Publikationen über Erinnerungsorte, Gedächtnis, Strukturwandel, zuletzt auch unter dem Schlagwort “Nachbergbau”. Nun folgt mit „Glückauf Zukunft“ wieder ein ganzes Jahr mit zum Teil ähnlichen, zum Teil neuen Veranstaltungen zu den Themen Erinnern und Wandel. Es gibt kaum eine Region in Deutschland, die sich mehr mit ihrer Geschichte und Erinnerungskultur auseinandersetzt als das Ruhrgebiet. Erfinden wir damit Identitäten oder findet das Revier zu sich selbst?
Die Darstellung und Inszenierung von historischer Wahrnehmung und Identität wird durch das Jahr 2018 neue Impulse bekommen. Es wäre besser gewesen, wenn für die neue Dauerausstellung des Deutschen Bergbau-Museums mehr Zeit für Vorüberlegungen und Vorbereitungen gewesen wäre und man nicht zwingend eine Wiedereröffnung noch im Abschiedsjahr vom Deutschen Steinkohlenbergbau gefordert hätte. Damit wurde die Chance vergeben, die Ergebnisse des Jahres 2018, die große gemeinschaftliche Reflexion über den deutschen Steinkohlenbergbau, in die neue Dauer-Ausstellung des Bergbau-Museums mit aufzunehmen. Dazu gehören insbesondere die sicherlich wertvolle Anregungen aus der Ausstellung „Das Zeitalter der Kohle“ im RuhrMuseum aber auch vieler anderer Veranstaltungen der Landschaftsverbände und ihrer Museen sowie auch der Ruhr-Kunstmuseen.
Ist es nicht an der Zeit, den Zukunftsorten des Ruhrgebietes gleich große Aufmerksamkeit zu widmen wie den Erinnerungsorten? Gerne hätten wir auch dazu eine Ausstellung gesehen.
Reflexionen zur Erinnerungskultur wie auch zu einer zukunftsweisenden Selbstdarstellung aufzufangen und weiterzutragen, wird Vermächtnis und Auftrag des Abschiedsjahres 2018 sein. Neben dem Deutschen Bergbau-Museum und dem RuhrMuseum – nach Darstellung des Museumsdirektors Theodor Grütter „Heimatmuseum des größten altindustriellen Ballungsraumes in Europa“ (Heinrich Theodor Grütter, Grußwort, in: Erinnerungsorte: Chancen, Grenzen und Perspektiven eines Erfolgskonzeptes in den Kulturwissenschaften, hg. von Stefan Berger und Joana Seiffert, Essen 2014, S. 9-10, hier S. 9.), gibt es weitere Akteure im Revier, welche die Fackel übernehmen oder sich die Pflege ihres Lichts teilen könnten. Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich in den nächsten Jahren „Glückauf Zukunft“ strukturieren und weiter entwickeln wird.